Ein Gedicht, das sich nicht reimt, ist kein Gedicht. So sagen konservative Liebhaber der Lyrik. Eine Meinung, die ich nicht teile.
Ich nutze das Gedicht als Möglichkeit, eine bestimmte Stimmung einzufangen. Wenn ich dann Jahre später dieses Gedicht wieder lese und mich an die Situation erinnere, die zu dieser Wortwahl geführt hat, dann erinnere ich mich auch immer wieder an diese Stimmung. Auch wenn die Zeit und die Umstände ein erneutes Fühlen der Stimmung nicht mehr möglich machen.
Es kann aber bewusste Mischformen geben, in denen traditionelle Elemente und Reimschemata bewusst unterbrochen werden. Mir ist das bei der Lektüre einiger Gedichte von Ingeborg Bachmann aufgefallen. Sie schrieb auch Gedichte, die keinen Reim hatten, manchmal aber schlich sich doch die traditionelle Lyrik hinein.
Generell würde ich sagen, dass sich Reimschemata auch dann anbieten, wenn nicht nur unbedingt ein Versmaß eingehalten werden, wohl aber eine gewisse Rhythmik vorgegeben werden soll.
Dazu habe ich mal ein Beispiel aus meinen vielen Gedichten ausgewählt.

Ich poste dieses Gedicht hier, weil es zu denen gehört, die ich jederzeit in meine eigene Top 10 an Texten aufnehmen würde. Mal abgesehen von der klaren Intention dieses Gedichtes – es geht offensichtlich um Gleichgültigkeit und die Kälte des Zeitgeistes – setze ich hier die entscheidende Phrase (“Und nichts gibt uns Halt”) bewusst ein, um zunächst Rhythmik zu erzeugen, diese aufzubrechen (3. Zeile der vorletzten Strophe) und um letztendlich im sehr traditionellen, gerade bei mir immer wieder auftauchenden Bild vom “Herz” als der ultimativen Metapher, aufzugehen.
So würde sich das dann anhören … :
Die Vielschichtigkeit gefällt mir so gut, dass es mich nicht wundern würde, wenn dieses Gedicht in Varianten weiter ausgearbeitet werden würde. So spiele ich mit dem Gedanken …
- … das Wort “nichts” hier generell groß zu schreiben (“Nichts”)
- … das Gedicht in “Das kalte Herz” umzubenennen, was der Vielschichtigkeit aber etwas widerspricht und vielleicht ein wenig zu profan wäre.
Mal schauen – wenn ich den Text des Gedichtes ändere, dann versuche ich mich weiterhin in dieser lyrischen Selbstreflexion und schreibe dann an dieser Stelle etwas dazu.