In der jüngeren Vergangenheit gab es von drei großen Bands der 90er Jahre, die jedem Fan von EBM ein Begriff sind, große Comebacks. In der Szene haben diese Comebacks durchaus Beachtung gefunden. Zeit, diese Meisterwerke auch einem breiteren Publikum vorzustellen. Die Rede ist von den Comeback-Alben von Nitzer Ebb, Haujobb und Front Line Assembly. Nitzer Ebb knüpfen an ihre Wurzeln an – Haujobb und Front Line Assembly lieferten sogar die besten Alben ihrer Karriere ab.
NITZER EBB – Industrial Complex (2010)
Beginnen wir mit der wohl bekanntesten Band: Nitzer Ebb. Die wurden Ende der 80er Jahre als Vorband von Depeche Mode Konzerten bekannt. Zusammen mit Front 242 gelten Sie als die Band des Genres EBM (Electronic Body Music). Höhepunkt ihrer Karriere war 1991 das von Flood und Alan Wilder produzierte Album “Ebbhead”. Seit 1995 hatte man nur von Solo-Aktivitäten der Bandmitglieder gehört. Dann 2010 das überraschende Comeback. Nitzer Ebb kündigten ein neues Album, eine Tour und einen neuerlichen Live-Support für Depeche Mode an. Das Comeback heißt “Industrial Complex” und ist in meinen Ohren mehr als gelungen. Nitzer Ebb knüpfen an alte Stärken an.
Martin Gore (Depeche Mode) jault mit bei “Once You Say”. Höhepunkte sind aber bei einem ersten Durchhören “Payroll” und “Kiss Kiss Bang Bang” – verspätete Klassiker. Beim zweiten Durchhören ragen meiner Meinung nach zwei Songs besonders heraus: “I´m Undone” und “My Door Is Open”. Sie sind nicht ganz so martialisch wie die anderen Songs, sondern haben eine gewissen Spannungskurve, die für EBM mit durchgehenden, monotone Rhythmen eher untypisch ist. Ich bekenne mich aber schon seit langem zu genau dieser untypischen Facette von Nitzer Ebb. Das letzte Album vor dem Comeback “Big Hit” war voll von Songs mit dieser Seite von Nitzer Ebb, was mir persönlich sehr gut gefallen hat. Mit dieser Auffassung stehe ich allerdings ziemlich allein da.
Nitzer Ebb haben dann auch Depeche Mode bei Ihrer Tour in Deutschland unterstützt. Douglas McCarthy, der Sänger (zwischenzeitlich auch auf Solopfaden) hält auch zu Recoil (Alan Wilder) engen Kontakt. Man darf froher Hoffnung sein, dass in naher Zukunft weitere Kooperationen folgen.
Nitzer Ebb – Getting Closer (Live 1989, Technoclub Frankfurt)
HAUJOBB – New World March (2011)
Im Gegensatz zu Nitzer Ebb sind Haujobb eher gediegen, ruhiger, manchmal gar minimalistisch. Mit “New World March” offenbaren Haujobb so etwas wie eine Botschaft. „New World March“ ist ungewohnt kritisch. Die Vorab-Single „Dead Market“ kann man als Persiflage auf aktuelles politisches Gebaren verstehen: „Identity is safe – The content is nothing – Deconstruction of form – We will always follow“. Ja, das ist beinahe philosophisch. Was Haujobb schon immer gut konnten ist eine gewisse Dramaturgie in ihren Songs aufzubauen. So beim Opener „Control“, der sanftmütig daherkommt und dann in geilen Samples ausartet. Meine persönlichen Favoriten sind „Soulreader“ (dürfte auf entsprechenden EBM Parties extrem tanzbar sein) und der Song „Membrane“. Letzterer ist wie eine Visitenkarte für alles, was Haujobb auszeichnet.
Abgerundet wird dieses Comeback mit einem extrem genialen Coverartwork, sowohl bei der EP „DEAD MARKET“ als auch bei dem Album selbst. In einer trostlosen Trümmerwüste hält jemand Ausschau nach der neuen Welt, die uns erwartet. Wollen wir hoffen, dass Haujobb keine prophetischen Gaben besitzen. EBM / Industrial passt von seiner Grundstimmung eben eher zu düsteren, epischen Szenarien – Haujobb geben mit „New World March“ dafür die perfekte Blaupause.
Hier das Video zu „Dead Market“, übrigens das bisher einzige offizielle Musikvideo der Band seit ihrem Bestehen.
FRONTLINE ASSEMBLY – Improvised Electronic Device
Hammer! Seit fast 30 Jahren im Business haben Frontline Assembly mit I.E.D. das beste Album ihrer Karriere abgeliefert, besser noch als GASHED SENSES AND CROSSFIRE oder TACTICAL NEURAL IMPLANT.
Die Band kann man nur noch bedingt zum EBM Genre rechnen. Mittlerweile lässt sich die Musik sehr viel eher dem Industrial Genre zuordnen. Mehr noch – sie haben dieses Genre begründet, lange bevor Ministry oder Nine Inch Nails es geprägt haben. So ist die Zusammenarbeit mit Al Jourgensen, dem Godfather of Industrial, nur zwangsläufig. Jourgensen, der Mastermind hinter MINISTRY, leiht FLA seine Stimme in dem martialischen Wutausbruch “STUPIDITY”. Das ist wie “BURNING INSIDE” auf Speed. Gerade dieser Track ist aber untypisch für das Album. Bei FLA sind alle Alben Konzeptalben. Der Opener, der Titletrack macht sie kampfbereit – es folgt der “Angriff!” – dass FLA sich militärischem Jargon bedienen ist nicht nur ihrem Namen geschuldet. Die Musik ist so martialisch – einen tieferen Sinn kann es nur mit der Durcherxerzierung solcher Begriffe geben. Gewaltverherrlichend – naja, wer FLA hört ist vermutlich eh ein abgestumpfter End-Dreissiger, der es nicht anders verdient hat. Bill Leeb ist als einziges Gründungsmitglied dabei – der Rest des Line-Ups wurde verjüngt. Genialer Übergang in eine neue Generation.